Knieschmerzen im Wachstum – Ursachen, Prävalenz, Risikofaktoren und Prognose

Knieschmerzen im Wachstum – Ursachen, Prävalenz, Risikofaktoren und Prognose

Hast du als Jugendliche/r selbst die Erfahrung gemacht? Bei körperlicher Belastung, insbesondere beim Sport, traten Knieschmerzen auf, du musstest abbrechen, die Schmerzen hielten an, wurden durch Ruhe wieder besser, bis bei der nächsten Belastung das Ganze von vorn begann. Einen genauen Auslöser, wie eine Verletzung in der Vergangenheit, konntest du nicht ausmachen. Vielleicht kennst du diese Beschreibung auch als Sportlehrer/in, Trainer/in oder Übungsleiter/in von den Jugendlichen im beschleunigten Wachstum, mit denen du trainierst, oder als Elternteil.

Der Gang zum Arzt hilft oftmals wenig weiter, denn eine klare Ursache für die Knieschmerzen kann er in vielen Fällen nicht finden. Die besten Untersuchungsmethoden sind nicht ausreichend. Seine Diagnose lautet dann meist »anteriore Knieschmerzen« oder »patellofemorale Schmerzen«. Letztlich bedeutet das nichts anderes, als Schmerzen im vorderen Bereich des Knies, auf der und/ oder um die Kniescheibe herum, ohne eindeutige Ursache. Eine spezifische Behandlung und Empfehlung für eine weiterführende Therapie ist ihm demnach kaum möglich.

Viele Jugendliche leiden unter dieser Problematik. Etwa zehn bis 40 Prozent der Physiotherapiebesuche von Jugendlichen sind auf anteriore Knieschmerzen zurückzuführen. Manchmal sind sogar beide Knie gleichzeitig betroffen. Nicht selten entsteht ein chronischer Zustand mit erheblichen Funktionseinschränkungen und damit Reduktion der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. Der Sport muss gegebenenfalls vollständig abgebrochen werden. Etwa 50 Prozent der Jugendlichen mit anterioren Knieschmerzen behalten ihre Beschwerden über ein Jahr hinweg und immer wieder sogar bis in das Erwachsenenalter hinein. Mädchen sind in der Regel nicht nur häufiger betroffen, sondern äußern auch stärkere Beschwerden.

Ursachen

Als mögliche intrinsische Ursachen werden biomechanische Faktoren verantwortlich gemacht. Eine ungenügende neuromuskuläre Kontrolle sowie Kraft- und/ oder Beweglichkeitsdefizite in den Bereichen Rumpf, Hüft-, Knie- und Sprunggelenk können dazu beitragen. Bei Mädchen im pubertären Alter wird dies oftmals durch besondere Veränderungen von Gewebeeigenschaften verstärkt.

Als extrinsische Ursache wird ein hoher sportlicher Aktivitätsumfang, gegebenenfalls in Verbindung mit einer hohen Intensität, verantwortlich gemacht, der die gesamte Belastung auf das Kniegelenk deutlich steigert.

Sicherlich können sich beide Ursachen gegenseitig bedingen. Jugendliche, die in Lauf-, Sprint- und Sprungsportarten, insbesondere mit Start-Stopp-Bewegungen, sehr aktiv sind, können schnell Überlastungserscheinungen am Bewegungsapparat entwickeln, wenn sie biomechanische Auffälligkeiten aufweisen. Andererseits kann eine zu starke Ermüdung im Sport zu biomechanischen Veränderungen bei Bewegungsabläufen führen und so Überlastungen hervorrufen. Das Resultat kann in beiden Fällen das gleiche sein: anteriore Knieschmerzen.

Prävalenz

Doch wie viele Jugendliche sind tatsächlich betroffen und bei welchen ist die Problematik gehäuft vorkommend? Gregory Borschneck von der Queen’s University in Kingston, Kanada, ist diesen Fragen nachgegangen. Er veröffentlichte eine der bislang größten Querschnittsstudien dazu.

Der Wissenschaftler untersuchte insgesamt 367 Schüler und Schülerinnen im Alter zwischen zehn und 15 Jahren. Davon waren 207 Mädchen und 160 Jungen. Das Durchschnittsalter betrug 13,2 Jahre.

Bei 7,4 Prozent der Schüler und Schülerinnen stellte er anteriore Knieschmerzen fest. Das Alter hatte jedoch einen starken Einfluss auf die Prävalenz. Wenn sie bei 10-Jährigen mit null Prozent am niedrigsten war, so war sie bei 14-Jährigen mit 10,7 Prozent am höchsten.

Knieschmerzen im Wachstum Grafik1

Die Prävalenz war auch vom Geschlecht abhängig. 10,1 Prozent der Mädchen, aber nur 3,8 Prozent der Jungen klagten über Schmerzen am Knie.

Knieschmerzen im Wachstum Grafik2

Hatten die Schüler/innen allerdings im Laufe der letzten zwölf Monate Probleme mit ihrem Knie, die sie mindestens eine Woche lang in ihrer Aktivität einschränkten, dann betrug die Prävalenz satte 61,1 Prozent!

Auch bei Sportler/innen war die Prävalenz erhöht. Nahmen die Schüler/innen außerhalb der Schule an organisiertem Sport teil (z. B. Fußball, Basketball und Volleyball), wodurch die körperliche Belastung anstieg, so betrug die Prävalenz durchschnittlich 23 Prozent. Mit 38,1 Prozent war sie am höchsten, wenn die Schüler/innen an mehr als drei Sportarten teilnahmen. Von denen, die nur im Schulsport aktiv waren, hatten dagegen nur 2,5 Prozent anteriore Knieschmerzen.

Knieschmerzen im Wachstum Grafik3

Die Körpergröße hatte entgegen der häufigen Annahme keinen Einfluss auf die Prävalenz.

Risikofaktoren

Risikofaktoren für die Entstehung anteriorer Knieschmerzen sind demnach insbesondere das Alter und Geschlecht, Beschwerden am Knie in der Vergangenheit und der sportliche Gesamtumfang. 

Das deckt sich mit der Studie von Meaghan Harris von der University of Newcastle, Australien. Sie untersuchte etwa 200 Jungen und Mädchen im Alter von elf bis 15 Jahren in den Sportarten Basketball, Volleyball, Australian Rules Football und Tennis. Der wöchentliche Aktivitätsumfang in deren Sportarten betrug durchschnittlich acht Stunden. Hinzu kamen zwei Stunden anderweitige körperliche Belastung. Von allen Jungen und Mädchen hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung 39 Prozent anteriore Knieschmerzen.

Prognose

Sinead Holden von der Aalborg University in Dänemark führte eine Meta-Analyse zur Feststellung von prognostischen Faktoren von anterioren Knieschmerzen und der damit einhergehenden Funktionseinschränkungen durch. Untersucht wurden insgesamt 1281 10-19-jährige Jungen und Mädchen aus 13 Studien.

Danach trugen folgende Faktoren zu einer schlechteren Prognose bei:

  • tägliche oder nahezu tägliche Schmerzen im Vergleich zu wöchentlichen oder monatlichen,
  • höhere Schmerzen im Vergleich zu niedrigeren,
  • beidseitige Knieschmerzen im Vergleich zu einseitigen,
  • bereits länger bestehende Schmerzen (mehrere Monate bis Jahre) im Vergleich zu kurzzeitig bestehenden (Wochen bis wenige Monate) sowie
  • Mädchen im Vergleich zu Jungen. 

Entgegen der häufigen Annahme stand ein höheres Körpergewicht (Body-Maß-Index (BMI)) nicht in Verbindung mit einer schlechteren Prognose. 

Die Wissenschaftlerin erkannte, dass es in der Regel innerhalb der ersten drei Monaten nach dem erstmaligen Auftreten der Beschwerden am Knie zur stärksten Abnahme des Schmerzes und Zunahme der Funktion kommt. Die danach noch bestehenden Beschwerden bleiben, mit einer nur noch geringen Reduzierung, häufig mindestens 12 Monate bestehen.  Das betrifft rund 50 Prozent der Jugendlichen.

Fazit

Kinder unter zehn Jahren zeigen selten anteriore Knieschmerzen. Es ist eine typische Problematik im frühen und insbesondere mittleren Jugendalter, während des beschleunigten Wachstums durch die Pubertät. Sie ziehen sich häufig über eine lange Zeit, gelegentlich bis in das Erwachsenenalter hinein. Ursachen sind in vielen Fällen positiv beeinflussbar – zum Beispiel durch trainingstherapeutische Maßnahmen, welche biomechanische Auffälligkeiten am Bewegungsapparat für optimale Bewegungsabläufe beseitigen, sowie eine gute Steuerung der Belastung mit ausreichenden Erholungsphasen im Sport.


Knieschmerzen sollten bei Jugendlichen grundsätzlich ernst genommen werden, da sie sich, wenn sie ignoriert werden, häufig manifestieren und mit einer schlechteren Prognose für die Genesung einhergehen. Das gilt speziell für Mädchen.


Literatur

Borschneck G, St. John L, Brundage K, et al. Cross-Sectional Risk Factors of Anterior Knee Pain in Adolescents. Front Pain Res. 2021;2: 720236. /Link

Harris M, Edwards S, Rio E, et al. Nearly 40 % of adolescent athletes report anterior knee pain regardless of maturation status, age, sex or sport played. Physical Therapy in Sport. 2021;51: 29–35. /Link

Holden S, Kasza J, Winters M, et al. Prognostic factors for adolescent knee pain: an individual participant data meta-analysis of 1281 patients. Pain. 2021;162: 1597–607. /Link

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4 Kommentare

  • Hallo, ich wollte fragen ob man diesen Knieschmerzen auch entgegenwirken kann
  • Hey Maya,

    die Ursachen für anteriore Knieschmerzen sind vielseitig sein. Daher können kaum allgemeine Maßnahmen zur Vorbeugung empfohlen werden. Ein regelmäßiges Screening nach funktionellen Auffälligkeiten und die entsprechende Behandlung, sowie eine adäquate Belastungssteuerung bei sportlichen Aktivitäten tragen aber sicherlich dazu bei, das Risiko für diese Problematik zu reduzieren.
  • Vielen Dank für diesen Beitrag, der komprimiert und gut lesbar wichtige Informationen enthält. Ich freue mich auf die nächsten Beiträge!
  • Hey Lukas,
    danke für dein Feedback 😊.

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